Der Ausbildungsmarkt wird beherrscht von der Nachfrage.
Wenn Betriebe Schwierigkeiten haben, Ausbildungsplätze zu besetzen, reagieren sie flexibel und lockern ihre Anforderungen an den Schulabschluss. Das zeigt eine aktuelle Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), die im renommierten „International Journal of Manpower“ veröffentlicht wurde. Die Untersuchung von Anett Friedrich, wissenschaftliche Mitarbeiterin am BIBB, belegt einen wichtigen Mechanismus am Ausbildungsmarkt: Der Anteil neu eingestellter Auszubildender mit maximal Erstem Schulabschluss (früher: Hauptschulabschluss) ist in Betrieben signifikant höher, wenn diese Ausbildungsplätze nicht besetzen können.
„Dieser Befund ist erfreulich, weil er zeigt, dass Betriebe flexibel reagieren, wenn sie nicht genügend gut qualifizierte Schulabgängerinnen und Schulabgänger finden“, kommentiert Prof. Dr. Hubert Ertl, Forschungsdirektor und stellvertretender BIBB-Präsident. Die Bereitschaft der Betriebe, Zugeständnisse beim Schulabschluss zu machen, sei nicht zuletzt aufgrund des anhaltenden Fachkräftemangels in Deutschland zentral. Die Integration von Jugendlichen mit maximal Erstem Schulabschluss bleibe eine wichtige Daueraufgabe für das Berufsbildungssystem. Die Studie zeigt, dass sich durch Marktmechanismen Chancen für diese Zielgruppe ergeben können.
Die Untersuchung deckt weitere interessante Zusammenhänge auf: Betriebe mit höher qualifizierter Belegschaft stellen tendenziell mehr Auszubildende mit Abitur ein. Die Qualifikationsstruktur von Betrieben erweist sich damit als zentraler Faktor bei Einstellungsentscheidungen. Ein überraschendes Ergebnis: Betriebe mit einem höheren Anteil an Bewerbern/innen mit Abitur stellen zudem mehr Auszubildende mit maximal Erstem Schulabschluss ein. „Ausbildungsplatzsuchende mit Abitur und solche mit maximal Hauptschulabschluss stehen also nicht zwingend in Konkurrenz zueinander“, erklärt Studienautorin Friedrich.
Die Bereitschaft der Betriebe, Zugeständnisse beim Schulabschluss zu machen, ist dem Fachkräftemangel geschuldet.«
Betriebe als Gatekeeper im Bildungssystem
Die Erkenntnisse unterstreichen die wichtige Rolle von Betrieben als „Gatekeeper“ im deutschen Berufsbildungssystem. Sie entscheiden maßgeblich darüber, welche Jugendlichen Zugang zu dualer Ausbildung erhalten. Gleichzeitig zeigt die Studie, dass diese Entscheidungen nicht starr sind, sondern von Marktbedingungen beeinflusst werden. Die Flexibilität der Betriebe bei Rekrutierungsproblemen eröffnet wichtige Chancen für Jugendliche mit niedrigeren Schulabschlüssen, die traditionell Schwierigkeiten beim Zugang zu Ausbildungsplätzen haben.
Ausblick auf weitere Forschung
Für zukünftige Untersuchungen sind nach Angaben der Autorin besonders branchenspezifische und regionale Unterschiede bei den Rekrutierungsentscheidungen von Interesse. Diese könnten weitere Aufschlüsse über die Mechanismen am Ausbildungsmarkt geben und helfen, zielgerichtete Fördermaßnahmen zu entwickeln.
Die vollständige Studie „School-leaving certificates and vocational education and training – the role of firms as gatekeepers in Germany“ ist im International Journal of Manpower erschienen.